Wer an Handarbeit aus Mexiko denkt, denkt vielleicht an gestrickte Pullis, selbstgemachte Sombreros oder Flamingos aus Holz, um sie sich ins Regal zu stellen. Aber in Mexiko gibt es auch einige kleine Familienbetriebe, die in Handarbeit Schuhe unter fairen Bedingungen herstellen. So wie die Wohnzimmer-Schusterei von Don Manuel im Dorf Hunacmá. Hier werden eine Art Mokassins für einen Laden in Mérida hergestellt, der die Treter unter dem Namen „Tags Alpargatas“ verkauft.
Tags Alparagatas
„Tags“ ist Schwedisch und heißt „Zug“, als Symbol für Bewegung und Fortschritt. Und „tags“ auf Englisch heißt „markieren“, denn am Ende macht jeder Kunde eigenhändig einen Stempel auf die Innensohle. Und die Rechnung gibt es nicht auf Papier, sondern ausschließlich als Email. Um Papier zu sparen. Nachhaltigkeit als Gesamtkonzept.
Hier ist mein Film aus Hunucmá:
Keine 45 Minuten hat es gedauert, da waren die Schuhe (inklusive meiner vielen Fragen) fertig. Es sind eine Art Mokassins, aus Stoff, mit einer Sohle aus und einem Bastsaum. Bei Tags im Laden in Mérida hat Mitarbeiter Joshua mir erzählt, was die Bedeutung der Schuhe ist:
„Tags refleja los principios de movernos, es una palabra skandinava, es el tren, que tambien significa etiqueta.“
„Tags“ ist schwedisch und heißt „Zug“, als Symbol für Bewegung und Fortschritt. Und „tags“ heißt auch Markieren. Denn am Ende macht jeder Kunde eigenhändig einen Stempel auf die Innensohle.“
Ein Paar kostet im Laden rund 10 Euro. Im Dorf selbst – das zwei Autostunden von Mérida entfernt ist – kriegt man ein Paar schon für ein drei Euro – immer noch ein großer Gewinn für die Schuster.
Die Herstellung
In Hunucmá habe ich nach einer kleinen Werkstatt oder zumindest einem Ladenschild gesucht – vergeblich. Denn die Schuhe werden in einem normalen Haus hergestellt, im Wohnzimmer quasi. Nur dass statt Sesseln und Fernseher dort zig Tische voller Stoffe, Klebebehälter, eine uralte Nähmaschine, ein selbstgebastelter Ofen und eine Presse standen, verteilt auf 10m². Dazu kamen nicht wie erwartet ein paar Maya-Frauen, sondern vier mexikanische Herren mit weit aufgeknöpften Hemden (weil warm) und rauen Händen.
Sie schneiden, nähen, kleben, erhitzen, klopfen. Und lächeln. Der Chef: Don Manuel Palomar hat die Schusterei vor fünf Jahren mit Geld von einem spendablen Gönner aufgezogen, das Haus gehört seinem Bruder und der Raum ist quasi geliehen – und mittlerweile produziert er so gut wie ausschließlich Großbestellungen, z.B. für Schul-Uniform-Schuhe und eben auch Tags, die die meiste Arbeit ausmachen:
„Pues al año producimos como 3000-4000 zapatos con cinco personas. Son 9 Cientimos por pareja, asi que si hace 30 pares por semana gana 1500 pesos semanal. No hay horario. El que trabaja gana, el q no trabaja no gana.“
„Im Jahr produzieren wir mit vier Mitarbeitern 3000-4000 Paar Schuhe. Pro Paar verdient ein Mitarbeiter etwa 9 Cent, wer schnell ist schafft 30 am Tag und verdient pro Woche 1500 Pesos – das sind rund 70 Euro – oder mehr. Und es gibt keine festen Arbeitszeiten, wer will kommt arbeiten und verdient Geld, wer nicht kommt, verdient eben nichts.“
Fair heißt in diesem Falle also auch: wer mal nicht zur regulären Arbeitszeit kommen kann, der kann auch ganz früh oder später oder gar nicht kommen. Kein Druck = zufriedene Mitarbeiter. Das finde ich mal ein gutes Vorbild.
Monster und Flamingos
Die Stoffe werden in einem anderen Ort auf der Halbinsel Yúcatan bedruckt – ich hatte bunte Monster, es gibt aber auch Flamingos, Melonen oder schlichtes blau. Dieser Stoff wird je nach Schuhgröße mit zwei passenden Schablonen geschnitten, dann leimt Mitarbeiter Miguel die Schnittkanten, schlägt sie per Hand um und klebt sie, damit nichts aufriffelt – das macht der in einem Affenzahn. Die einzelnen Stoffstücke werden dann zusammen genäht – am Ende sieht das ovale Stoffstück aus wie ein Böötchen mit Loch in der Mitte. Und als der Chef den Stoff umstülpt wird direkt die Form des Schuhs klar: Das Obermaterial ist fertig.
Jetzt fehlt nur noch die Sohle – der Stoff wird in mühsamer Handarbeit auf einen Leisten gezogen, darunter ist die Sohle mit zwei Nägeln befestigt. Daran wird der Stoff festgeklebt, mit Nägeln befestigt, gehämmert – fast fertig. Zum Abschluss wird der Schuh vom Leisten abgezogen, kurz auf den sehr self made Mini-Ofen gelegt, damit alles schön verschmilzt. Voila:
„Ya esta listo, lo unico ahora no esta recommendable ponerlo porque esta caliente, en 2-3 horas si. Gracias a esas zapatos mi familia es mas o menos estable./ Cuantos ninos tiene? – Trés.“
„Die Schuhe sind fertig, ich würde sie aber erst in 2-3 Stunden anziehen, sie sind noch zu heiß vom Ofen. Dank dieser Schuhe und der Arbeit geht es meiner Familie gut soweit.“
Wichtig: man sollte die Schuhe auch in Handarbeit waschen, sonst war es das ganz schnell mit den neuen Lieblingstretern…
Wer übrigens im Laden in Mérida kauft, bekommt keine Rechnung auf Papier, sondern ausschließlich per Email – um Papier zu sparen. Die ganze Idee hat also einen nachhaltigen Hintergrund – und einen hübschen Vordergrund: ich liebe meine fairen funky Monster!
Die Reportage zum Thema in WDR COSMO:
soundcloud.com/ahornzeit/reportage-fair-made-shoes-wdr-cosmo