Ich habe noch nie so einen enormen Aufwand betrieben, um bei einem Triathlon mitzumachen. Noch nie habe ich so irre viel Zeit investiert, um mich anzumelden und mein Equipment zusammen zu kriegen, noch nie eine so hohe Anmeldegebühr für einen Wettkampf gezahlt, noch nie zuvor ein Rennen ohne Klickpedale bestritten und so sehr bei einem Rennen geschwitzt. Aber ich würde alles wieder genauso machen.
Hürden bei der Anmeldung
Wenn bei uns ein Triathlon stattfindet, dann melden wir uns online oder direkt vor Ort an, packen unsere Wechselbeutel und sind startklar. In Mexiko läuft das alles etwas anders. Als ich gesehen habe, dass während meiner Reise durch Yucatán eine Sprintdistanz (750m schwimmen, 20 km Rad fahren, 5 km laufen) stattfindet, stand für mich sofort fest, dass ich teilnehmen will. Ich liebe Medaillen aus dem Ausland. Und da ich Spanisch spreche, sollte die Anmeldung problemlos funktionieren. Ich würde mir dann einfach ein Rennrad ausleihen, fertig. Aber Pustekuchen.
Puerto Progreso
Ich war einen ganzen Monat mit einer Freundin unterwegs. Franzi besucht jedes Jahr ihre damalige Gastfamilie in Mérida, diesmal bin ich mitgefahren. Gastschwester Jimena hat mich überhaupt erst auf die Idee gebracht, dass in der Nachbarstadt Puerto Progreso ein Wettkampf stattfindet – nur 30 Minuten nördlich von Mérida, an der kristallklaren Küste des Golfs von Mexiko. Doch die Online-Registrierung erwies sich als schwieriger als gedacht. Ich habe mir einen Account angelegt und sollte dann ständig eine Art mexikanische Versicherungsnummer angeben – die ich natürlich nicht habe.
Sonderseite für Ausländer
Nach zig Versuchen, falschen Nummern und der Verzweiflung nahe habe ich die mexikanische Triathlon-Union angeschrieben. Und siehe da: für ausländische Teilnehmer gab es eine gesonderte Anmeldeseite. Hier funktionierte alles wunderbar. Als ich beim Bezahlen angekommen war habe ich den Vorgang aber zunächst abgebrochen. Schließlich brauchte ich erstmal ein Fahrrad.
Ein Rennrad, bitte
Mérida ist eine 1-Millionen-Stadt in Yucatán, super modern, sehr sportlich, mit mehreren Fachhändlern international bekannter Radmarken. Gastschwester Jimena ist mit uns in der Woche vor dem Wettkampf also zu diversen Geschäften gefahren – aber überall gab es nur Neuräder zum Verkauf. Ich hatte die Hoffnung nach dem dritten „No“ eigentlich schon aufgegeben, bis ein Tipp mir wieder Mut machte. Ein Outdoor-Adventure-Laden sollte Leihräder haben. Zwar vor allem Mountainbikes, aber ich musste im Wettkampf ja nur 20 Kilometer fahren und die hätte ich notfalls auch mit einen MTB gemacht.
Tropengewitter vs. Triathlon-Traum
Direkt neben der Kasse standen sogar zwei Leihräder von Quintana Roo – doch die waren mir beide mehr als zu groß. Der Versuch ein Rad bei einem Mexikaner auf der vorgelagerten Insel Cozumel zu bekommen ist auch gescheitert. Dort findet im November immer ein Ironman stattfindet und es gibt dort tatsächlich haufenweise Leihräder. Aber die Tropengewitter des vorbei ziehenden Hurrikans Franklin haben den Schiffsverkehr zwischen Insel und Festland lahmgelegt. Mein Triathlon-Traum war damit geplatzt.
Der Kampf vor dem Wettkampf
Alternativ wollte ich dann halt am Open Water Swimming am Tag vor dem Triathlon teilnehmen. Bei den „Aguas Abiertas“ konnte man zwischen 1,5 Kilometer, 3 oder 6 Kilometer wählen – im offenen Meer. Aber irgendwie wollte ich noch nicht aufgeben und habe Verkäufer Jorge im Radladen angefleht – denn neben den Leihrädern stand ein blaues Rad in Größe S zum Verkauf bereit. Ich bat Jorge den Verkäufer zu fragen, ob er mir das Rad für ein paar Tage vermachen würde.
Mein Leihrad
Und Tatsache, einen Tag später kam die erlösende Nachricht und ich tanzte durch die Straßen. Für 1500 mexikanische Pesos (etwa 70 Euro) konnte ich das Rad und einen Leihhelm am nächsten Tag abholen. Ich habe noch schnell die Online-Anmeldung abgeschlossen, 65 Euro Startgebühr überwiesen und eine 2-km-Probefahrt gemacht. Das musste reichen, denn dann sind wir schon zum nächsten Ausflug aufgebrochen.
Raceday
Am Tag vor dem Wettkampf sind wir dann alle nach Puerto Progreso gefahren, um die Startunterlagen abzuholen, die Wechselzone zu begutachten und das Wasser zu testen. Fazit: karibisch warm, wunderschön türkis und sehr, sehr salzig. Nach zehn Minuten mit dem Kopf im Wasser brauchte ich eine geballte Ladung Trinkwasser. Egal, die Aussicht auf Palmen, strahlend blauen Himmel und die Athleten des Schwimmwettbewerbs erfüllten mich mit purer Vorfreude. Aus dem Wasser kommen und auf dem Rennrad nicht frieren – ein herrlicher Gedanke. Wir sind dann erstmal zurück nach Mérida, haben noch ordentlich gegessen und ich bin früh ins Bett. Um 04 Uhr klingelte der Wecker. Raceday.
Rad-Check-In und Schwimmstart
Ich habe mein Rad in die Wechselzone gebracht, Luft nachgepumpt, alle Utensilien von Helm, Sonnenbrille, Startnummer und Getränke bereitgestellt, um mich dann am Strand aufzuwärmen und einen letzten Probestart ins Wasser zu absolvieren. Zwei Kilometer bin ich dann noch gelaufen und um 7 Uhr stand ich dann gebannt beim Schwimmstart. Die ersten Teilnehmer waren im Wasser und meine Aufregung stieg ins Unermessliche. Wie immer vor dem Schwimmen. Alle zehn Minuten ging ein neuer Block an die Linie und rannte beim Startschuss ins Wasser. Dann war meine Gruppe an der Reihe. 7:45 Uhr, noch 5-4-3-2-1-go!
Schwimmen, radeln, laufen
Während viele versuchten so weit wie möglich zu laufen, habe ich mich direkt ins Wasser geschmissen und habe einen Startsprint hingelegt, um mich ein wenig freizukämpfen. Die große gelbe Boje immer im Blick habe ich versucht alles zu geben. Waren ja nur 750 Meter. Schon ging es um die Ecke und wieder Richtung Strand. Zurück in die Senkrechte, Brille ab, Turnschuhe an, rauf auf das Rad. Hoffentlich hält alles. Bitte keinen Platten. Mein Werkzeug-Tool war am Vortag auseinander gefallen und meine Luftpumpe habe ich bei Kilometer 1,5 schon verloren.
Belgischer Kreisel
Ich habe getreten, was das Rad zuließ und konnte die Führung einer Frauengruppe übernehmen. Doch vorne im Wind war es anstrengender als es hinten im Windschatten wirkte (eigentlich keine Überraschung), also ließ ich mich zurückfallen und wurde von da an Teil eines gut funktionierenden und fairen belgischen Kreisels – wir haben uns immer abwechselnd nach vorne geschraubt und den Weg durch den warmen Wind gebahnt. Nur eine Dame hat sich nie nach vorne gewagt und die harte Arbeit übernommen. Eine der wenigen anderen blonden Frauen, auf die ich es spätestens dann abgesehen hatte, als sie uns auf den letzten paar hundert Metern hinter sich ließ und davon zog, mit ihren gesparten Kräften. Ich kam kurz nach ihr in die Wechselzone und hatte jetzt nur noch ein Ziel: sie zu kriegen.
Etappenziel erreicht
Schon nach ein paar Minuten überholte ich die Konkurrentin – innerlich triumphierend – und habe meine letzte Energie zusammen gesammelt, damit sie mich nicht mehr kriegt. Mittlerweile war es wahnsinnig heiß – und dabei war noch nicht einmal 9 Uhr. Ich habe mir so oft es ging Wasser über den Kopf gekippt und getrunken. Ich habe nicht auf die Uhr geguckt und gefühlt war ich gar nicht so schnell, aber am Ende zeigten meine Aufzeichnungen, dass ich einen Schnitt von 4:55min/km lief. Kein Wunder, dass es so anstrengend war. Ich hatte nach dem Radpart das Gefühl, dass nicht allzu viele Frauen vor mir waren. Vor dem Wendepunkt kamen mir zwei Frauen entgegen. Sollte ich wirklich an dritter Stelle sein?
Zielteppich
Was auch immer – ich bündelte alles was ich noch zu geben hatte – und wurde auf Kilometer 3,5 und 4 dann doch noch von zwei wirklich schnellen Mexikanerinnen eingeholt. Egal, Endspurt, Vollgas, einmal vorbei an der jubelnden Zuschauermasse, dann hörte ich meinen Namen aus der Menge: Franzi, Jimena und Gastmutter Magda pushten mich über den Zielteppich und nach 01:16:47 hatte ich die schönste Medaille um den Hals hängen, die ich im Triathlon je gesehen habe: ein rosa Flamingo lächelte mich an und ich lächelte stolz zurück.
Mexikanische Medaille
Ich habe meine Finisherzeit am Vortag bei einem kleinen Wettspiel geschätzt und lag so nah, dass ich noch einen Fahrradhelm mit meinem Namen gewonnen habe und zur Krönung des Tages zwar „nur“ fünfte Frau“ insgesamt, aber dritte Dame in meiner Altersklasse wurde und damit auch noch auf das Treppchen durfte. Seitdem zieren ein wundervoller Pokal mein kölsches Wohnzimmerregal und eine imaginäre Salsa-Gruppe eine Ecke meines Herzens.
Gracias, México
Dieses Gefühl die Anmeldung trotz aller Schwierigkeiten geschafft, das Rad organisiert und den Wettkampf so gut gemeistert zu haben, jagen mir jedes Mal wieder einen warmen Schauer über den Rücken. Dieses Ambiente, das Meer und die geduldige Unterstützung von Franzi und unserer Gastfamilie haben mir einen auf ewig unvergesslichen Tag beschert. Noch nie haben sich alle Kosten und Mühen so sehr gelohnt. Gracias, Mexico.
Veranstaltung: https://web.asdeporte.com/copa-mundial-triatlon-itu-yucatan-2017
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