Köln ist eine Stadt mit einer besonderen Stimmung. Das merkt man immer wieder, selbst wenn keine Karnevalszeit ist. Auch beim Köln-Marathon wird das deutlich. Ich bin mitgelaufen. Zwar nur die halbe Strecke, aber immerhin. Zur Belohnung gab es Anfeuerungen, Androhungen und Freuden-Tränchen.
„Wir sehen uns gleich“ – so lautete die charmante Androhung, als ich morgens um 7 Uhr auf dem Weg zum Köln-Marathon zwei Teilnehmerinnen mit Kleiderbeutel auf dem Rücken mit dem Rad überholt habe. Und schon hatten alle ein Lächeln auf dem Gesicht.
Es war noch dunkel. Aber die Streckenposten, die schon in aller Herrgottsfrühe an den Absperrungen standen, grüßten freundlich und wünschten viel Erfolg. Die Spezies Läufer ist ja doch immer einwandfrei zu erkennen: Mütze oder Stirnband, Funktionsshirt unter wärmendem Pulli oder wahlweise Müllbeutel mit liebevoll ausgeschnittenen Löchern für Kopf und Arme. Ein Getränk der Wahl in der Hand, die Pulsuhr am Handgelenk und immer wie vom Hafer gestochen in Bewegung, um ja warmzubleiben. Das Ganze mal 20.000 – und fertig ist das Marathon-Erlebnis. Meine Gedanken, die zusammen mit dem Wecker um 6 Uhr klingelten, warum zum Henker ich eigentlich an einem Sonntag freiwillig so früh aufstehe und mich quäle, waren fast verflogen.
Nach dem Start in den Stau
Am Start in Köln Deutz war erst einmal eine Runde Karneval angesagt. Mit passender Musik wurde im Takt geschunkelt – inklusive Verkleidungen. Vom letzten Mohikaner, oberkörperfrei und im Lendenschürzchen, über die männliche Krankenschwester mit Perücke und Schminke bis hin zur Bayerin im Dirndl war wirklich alles dabei. Es geht halt nicht nur ums Laufen, sondern um den Spaß. Auch wenn einige auf der Strecke dann doch nicht mehr nach purem Spaß aussahen. 21,5 Kilometer sind durchaus anstrengend. Von 42,195 Kilometern ganz zu schweigen. Aber erst ging es für uns Halbmarathonis auf die Strecke. Startschuss, das Piepen der Zeitmessmatten und dann – Stau! Mit der Bestzeit wurde es schon auf den ersten 100 Metern schwierig.
Ein guter Grund, einfach zu genießen und mit den anderen ins Gespräch zu kommen. „Macht hinne da, mein Kölsch wird warm!“ vernahm ich eine männliche Stimme hinter mir. Und die Clownsfrau neben mir antwortete: „Deshalb habe ich meins schon getrunken.“ Warum auch nicht. Der Köln Marathon ist eben eine heitere Veranstaltung.
„Heul nicht, lauf!“
Pappschilder mit motivierenden Worten wie „Heul nicht, lauf!“ taten ihr Übriges. Eigentlich wollte ich wirklich ganz locker laufen. Schließlich war ich zwei Wochen fast sportlos – nach meinem letzten Triathlon und einer dicken Erkältung. Aber irgendwie kann man in Köln nicht langsam laufen. Die Stimmung treibt an – das Kölsch vermutlich auch. Alle Pappnase lang wird dein Name gerufen. Mal von Freunden, mal von Unbekannten. „Go, Anita, das geht ja wohl noch schneller!“ – oder mein Lieblingssatz auf Kilometer 17 gestern: „Du siehst super aus!“. Leute, wollt ihr mich veräppeln? Ich schwitze, mein rechtes Bein hinkt bereits und ich habe bestimmt eine Salzkruste im ganzen Gesicht. Und die Fotos, die ich später sehe, beweisen es: Meine Shorts über der langen Laufhose hängt auf Halbmast, mein Laufshirt wird vom Startnummernband ins Nirvana gezogen und meine herunter gekrempelten Armlinge hängen an meinen Handgelenken wie übergroße Schweißbänder. Ich sage einfach, das war meine Verkleidung. Quasimodo. Quasi Mode. In Köln zieht das. Vorbei an meinem Verein mit Pavillon und Kuhglocke zum Antreiben waren es dann nur noch vier Kilometer über die Kölner Ringe und durch die Innenstadt.
Ein Meer aus Menschen, die alle nach ihren Liebsten Ausschau hielten und mit Trillerpfeifen und ihren Händen einen unfassbaren Krach machten – ich war ganz gerührt. Die Tränchen liefen mir aber nur, weil der Wind in meine Augen pustete. Wirklich. Ach was soll’s. Der Köln Marathon ist ein emotionaler Wettkampf. Da darf man auch mal ein bisschen flennen. Vor Freude.
Schon zu Ende?
Noch kurz über Kopfsteinpflaster durch die Fußgängerzone, vorbei am Kölner Dom und dann hörte ich um die Kurve auch schon den Moderator im Ziel. Schon zu Ende?
Ich wollte doch noch ein bisschen genießen. Aber ok, eigentlich hatte ich auch schwere Beine, mittlerweile. Also Endspurt auf der Zielgeraden und geschafft!
Nach meinem Lauf habe ich dann noch zwei Stunden am Vereinspavillon an Kilometer 17 die Stellung mitgehalten und die Marathonis angefeuert. Von der Führungsgruppe bis zum letzten Mohikaner im Schürzchen. Heute habe ich Muskelkater. Vor allem in den Händen. Klatschen ist echt anstrengend. Sorry, dass ich euch angeschrien habe, liebe Beates, Gerhards und Jürgens. Es war nur gut gemeint. Dafür habe ich heute keine Stimme mehr. Aber einen Sonnenbrand im Gesicht. Und eine hübsche Medaille. So wie ihr alle, hoffentlich.
Hat es eigentlich einen Grund, dass die Medaille aussieht wie ein Flaschenöffner? Ich bin der Sache auf den Grund gegangen und habe am Nachmittag versucht, damit mein wohl verdientes Kiosk-Kölsch zu öffnen. Hat geklappt. Nächstes Jahr sehen die Medaillen ja dann vielleicht aus wie Korkenzieher. 2016 feiert der Köln Marathon nämlich sein 20. Jubiläum. Zu solchen Anlässen trinkt man doch Sekt, oder? Also. Wir sehen uns wieder. Das ist eine charmante Androhung.