Olympisch, tierisch und weltmeisterlich

Anita Horn Mein Triathlon

Hätte mir vor acht Jahren, als ich eine Weile in Hamburg gewohnt habe, jemand erzählt, ich würde irgendwann mal in der Alster schwimmen, hätte ich laut gelacht. Zu absurd wäre die Vorstellung gewesen. Schwimmen – außer Brust mit Kopf über Wasser oder wahlweise in der Badewanne Froschfinger heranziehen – ist noch nie mein Ding gewesen. Wieso zum Henker hätte ich also glauben sollen, dass ich mich mal in diese bräunliche Brühe begebe und dann auch noch mit dem Kopf untertauche. Freiwillig.

Tri Mag Blo10 Anita Unterlagen

Aber ersten kommt eh alles anders, und zweitens als man denkt. Und so habe ich am Sonntag beim ITU World Triathlon Hamburg gleich für eineinhalb Kilometer hochmotivierter Kraulzüge eingetunkt. Und das sogar ohne Neoprenanzug. Unfreiwillig. Das Wasser war über 22°C warm – für offizielle Jedermann-Wettkämpfe die Grenze der Deutschen Triathlon Union auf 1500 Meter. Pech für mich. Die Hiobsbotschaft erreichte uns schon Freitag Abend, als wir mit mehreren Kölnern (unseren „Cologne Rookies 2.0“) die Startunterlagen am Gänsemarkt abholten.

Tri Mag Blo10 Anita Kölner

Und während sich meine Freundin, Mitreisende und Zimmergenossin und Simone über die goldene Badekappe freute und andere völlig neutral reagierten, hätte ich mich am liebsten strampelnd auf den Boden geschmissen und heulend protestiert. Ich habe schon überlegt, wo in Hamburg ich Eiswürfel organisieren könnte, um die Alster über Nacht erkalten zu lassen. Am Samstag waren wir allerdings testschwimmen und meine Panik löste sich in Wohlgefallen auf: das Wasser war tatsächlich warm. Auch wenn ich meine eigene Hand nicht vor Augen sag. So konnte ich wenigstens auch nicht sehen, wie mich alle überholen.

Tri Mag Blo10 Anita Einschwimmen

Ich wusste zwar, dass ich ohne Auftriebshilfe keine Bestzeit machen würde, aber das gelingt mir beim Schwimmen eh nie. Also ging ich zuversichtlich über die Triathlonmesse am Jungfernstieg, schaute mir noch die Elite auf der Sprintdistanz an und föhnte abends meinen Einteiler wieder trocken, um am Wettkampftag um 8.20 Uhr nicht vor dem Start doch noch zu frieren. Bevor es dann ins Bett ging, brach allerdings doch nochmal Panik aus – ich hatte einen Platten. Keine Ahnung wo der her kam. Simone und ich sind mit der Bahn angereist. Da war noch alles gut. Vielleicht habe ich mir von der U-Bahn-Haltestelle St.Pauli bis zum Hotel eine Scherbe eingefangen. Mein Ersatzschlauch kam also schon vor dem eigentlichen Rennen zum Einsatz, dank der nächtlichen einsatzbereitschaft unserer männlichen Mitstreiter Veit und Markus. So habe ich wenigstens endlich mal gesehen, wie sowas funktioniert.

HAHN HAMBURG klein

Als Sonntag Morgen um 05.30 Uhr der Wecker klingelte, war ich direkt hellwach – und froh, dass ich nicht wirklich das gesamte ITU-Veranstalter-Team angerufen und verrückt gemacht habe, um meine Startzeit nach hinten zu verlegen und mich ein Leihrad von den Elite-Frauen zu organisieren. In Wirklichkeit war mein Schlauch ja wieder ok. Wobei, so einen Schlitten würde ich ja gerne mal ausprobieren. (Ich habe mich immer noch nicht für ein neues XS-Rad entschieden und bin mir immer noch sicher, dass ich damit eine bessere Zeit fahren könnte, als mit meinem schweren Alu-Esel). Nach einem kleinen Frühstück wollte ich also mein geflicktes Rad aus dem Zimmer holen und traute meinen Augen nicht, als ich im Flur um die Ecke kam und ein leicht irritiertes Huhn vor mir stand und mich anbooooockte. Genauer gesagt handelte es sich hier um einen ausgewachsenen Hahn, der offensichtich aus dem Karton stammte, der vor unserer Zimmertür stand. Ich hielt erst die Luft an vor Schreck und dann spontan Ausschau nach einer versteckten Kamera. Nichts zu sehen. Also mailte ich Simone ein Foto mit der Bitte, das Hotelpersonal in die fünte Etage zu schicken. Während dessen habe ich den Hahn gefangen (mein erster, und das mitten in Hamburg…) und ihn dann ziemlich verwirrt (er und ich) zurück im Karton gebettet den Hotelmitarbeitern überreicht. Slapstick pur.

Hamburg Vorm Schwimmstart

Mit Rad und Sack und Pack und einer bleibenden Portion Verwunderung haben wir „Cologne Rookies 2.0“ uns dann auf den Weg zum Jungfernstieg an der Alster gemacht. Ich war so nervös wie schon lange nicht mehr vor einem Wettkampf. Vielleicht weil ich eine Woche vorher kein bisschen trainieren konnte – dank einer zeitlich mal wieder generalstabsmäßig eingefangenen Erkältung. Aber dann kam unsere Zeit und nach dem Vorbereiten der Wechselzone sind wir mit 170 Startern der Gruppe F ins Wasser gegangen. Countdown. Startschuss. Schleudergang. Ich habe mich die ganze Zeit auf eine halbwegs hilfreiche Wasserlage zu konzentrieren und die Druckphase dahin zu packen, wo sie hingehört. Zwischendurch habe ich an den Hahn gedacht und schon war ich wieder auf dem Rückweg. Schwimmausstieg. Geschafft.

Hamburg Garmin Swim

http://connect.garmin.com/de-DE/

Rein in die erste Wechselzone und rauf auf das Fahrrad. Leider hat es im Gegensatz zum sonnigen Samstag ordentlich geregnet und innerhalb weniger Minuten habe ich gefühlt drei Liter Wasser pro Schuh spazieren gefahren. Ich habe mich gefühlt wie eine Bleiente, weil ich dank des fehlenden Trainings in der Vorwoche eh keinen besonders runden Tritt hatte. Aber wenigstens hatte ich Durchblick. Meine neue UVEX-Radbrille ist nämlich endlich zum Einsatz gekommen und hat sich den dunklen Verhältnissen angepasst. So musste ich nur noch gucken, wo ich lang fahre.

Rennradstrecke Hamburg

www.marathon-photos.com

Und hätte besser auf den Gullideckel achten sollen. In der Kurve Richtung Reeperbahn habe ich mich auf einem nassen Gullideckel nämlich noch fast lang gemacht. Aber dann war auch hier wie im Flug die zweite Radrunde á 20 Kilometer vorbei und ich bin die ewig lange Wechselzon zurück zu meinem Platz gerannt, um mich in die mittlerweile ziemlich durchgeweichten Laufschuhe zu schmeißen und die letzten zehn Kilometer abzureißen. Die ersten zehn Minuten habe ich genutzt, um an den Einstellungen meiner neuen Testuhr (Garmin Forerunner 910XT) rumzuwerkeln. Aber am Ende habe ich mich dafür entschieden, nur die Disziplin umzustellen und ansonsten keine Experimente zu machen. Statt dessen habe ich mich auf die Strecke konzentriert – meine alte Laufstrecke in meiner alten Heimat, mit einem völlig neuen Gefühl. Ein Blick auf meine Zeit ließ mich bei Kilometer Drei sogar vermuten, dass ich unter drei Stunden bleiben könnte. Meine Beine wollten zwar erst noch widersprechen, aber mein Kopf war stärker als die letzten Überbleibsel des Schnupfens. Außerdem find der Wettkampf hier wieder an richtig Spaß zu machen. Ich konnte meinen Kölner MitstreiterInnen wieder winken und zurufen, ohne Angst vor Pannen und Platten haben zu müssen – auf der Radstrecke haben unheimlich viele Athleten Schläuche gewechselt, gepumpt und geschoben, weil nichts mehr zu retten war, (Gibt es eigentlich einen Zusammenhang zwischen schlechtem Wetter und kaputten Reifen?) habe einer Polin noch mit meinem Hydrogel über die Runden geholfen und war nach 49 Minuten endlich auf der Zielgeraden am Rathausplatz.

Ziel Hamburg

www.marathon-photos.com

Mit einer Nettozeit von 02:47:18 Stunden, Froschfingern ganz ohne Badewanne und einem völlig neuen Heimatgefühl zu meiner damaligen Perle Hamburg habe ich am Ende sogar den 97.Platz unter 603 Frauen (OD) erreicht und den 27.Platz in meiner Altersklasse gemacht. Für den größten Triathlon der Welt mit über 10.000 Startern in den verschiedensten Distanzen und die Tatsache, dass ich Freitag noch nicht ansatzweise durch die Nase atmen konnte, war ich überaus zufrieden.

Hamburg Simone und Anita Medaille

Als ich zurück im Hotel erfahren habe, dass der Hahn erfolgreich dem Tierschutz übergeben wurde, ging es mir noch besser. Und als die deutsche Fußball-Nationalmannschaft den Tag auch noch mit dem Weltmeistertitel krönte, hatte ich die Welt im Döschen. Ich sag mal so: die Vorbereitungen für meine erste Mitteldistanz beim Kölner Triathlon Wochenende am 7.September sind noch ausbaufähig, aber ich fühle mich langsam bereit, die neue Herausforderung Cologne226 anzugehen. In meiner heutigen Heimat Köln, im und um den Fühlinger See. Gerne ohne Platten, meine obligatorische Vorab-Erkältung und unerwarteten Tierbesuch. Aber mit Neo, viel Unterstützung am Streckenrand und einem mindestens genauso weltmeisterlichen Gefühl wie nach der gewonnenen Fußball-WM am Sonntag.

Hamburg Rad-Checkout Talita

Mein Blog auf tri-mag.de