Ballermann vs. Bürostuhl

Anita Horn Mein Triathlon

Da sitze ich also wieder auf meinem Bürostuhl und schaue in die Röhre. Ich bin verdammt schwer aus dem Bett gekommen, aber mittlerweile frage ich mich schon wieder, wohin mit meiner ganzen Energie? Neun Tage habe ich täglich irgendwas Sportliches gemacht, vom Lauf-ABC bis zum knallharten Küstenklassiker. Und jetzt soll ich einfach hier sitzen und arbeiten? Auf diesem platten, unbeweglichen Ding?

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Tainingscamps im Frühjahr sind echter Luxus: sich nur um körperliche Fitness, Essen und Ausruhen zu kümmern. Klar, einige reagieren darauf mit „du quälst dich freiwillig im Urlaub und bezahlst auch noch dafür?“ Aber die Rechtfertigung ist ganz einfach: wenn ich dann mal am Strand oder am Pool liege und relaxe, fühle ich mich verdammt gut dabei.

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Außerdem schmeckt das Essen am Buffet nach soviel Training dreifach gut und ich kann soviel futtern, dass ich das Urlaubsgeld locker wieder reinhole. Für ein Trainingscamp entschieden habe ich mich letztes Jahr kurz nach meiner ersten olympischen Distanz beim CTW in Köln. Und weil alle meine Rookies von 2013 – mittlerweile verteilt auf diverse Kölner Vereine, ins WillPower-Races-Camp sind, bin ich natürlich mit. Gruppenzwang. Macht aber nichts. Im Wettkampf ist man Einzelkämpfer genug. Außerdem hatten wir dadurch eine Art Ferienlageratmosphäre. Fast 100 Leute, verteilt auf drei Wochen Mallorca. Alles Ballermänner und Ballerfrauen – rein sportlich gesehen. Denn wir haben ganz schön in die Pedale getreten.

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Bodenwelle = Riesenhürde

Am Anreisetag hatte ich noch eine leichte Erkältung mit im Gepäck, die sich am ersten Trainingstag bemerkbar gemacht hat. Beim Radfahren habe ich jede Bodenwelle als Riesenhürde empfunden und meine Lunge hing mir zum Hals raus. Obwohl ich zum Einstieg die Cappuccino-Gruppe gewählt habe. 68 kurze Kilometer über die Insel. Mehr hätte es aber wirklich nicht sein dürfen. Beim Absteigen vom Rad tat mir nämlich schon gut der Hintern weh. Es rächt sich eben, wenn hunderte Trainingskilometer im Sattel fehlen. Irgendwie habe ich das Wintertraining ganz schön vernachlässigt. Am Dienstag habe ich mich also für die Hose mit dem dickeren Polster entschieden. Und für das nächste Trainingscamp nehme ich nicht nur meine eigenen Pedale, sondern auch meinen eigenen Sattel mit.
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Ab Tag zwei ging es dann bergauf. Mit mir. Und mit den Radstrecken. Diesmal führte uns Guide Marius über Alcudia, Muro und Sa Pobla zu unserem nächsten Cappuccino. Und ich war sogar wieder so fit, dass ich in Selva die Chance ergriffen habe und in die etwas schnellere Gruppe zu Guide David gewechselt bin. Mit ihm ging es mit 30er-Schnitt durch das Maffay-Tal, wie ein fein säuberlich geschnürtes Sechser-Paket Radfahrer. Da ich bisher aber eher weniger Radausfahrten und nur drei Wettkämpfe gemacht habe, bei denen Windschattenfahren verboten ist, war dieses kompakte Fahren eine echte Herausforderung. Ich durfte nicht daran denken, dass mein Vordermann plötzlich bremsen könnte, ich ein Schlagloch übersehe oder mir der Reifen vielleicht platzt. Da habe ich mich lieber damit beschäftigt, wie meine Sitzhöcker langsam aber sicher den Sattel verfluchten.
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Luft an den Neo

Abhilfe schaffte das 15 Grad Celsius kalte Meerwasser beim Openwater-Schwimmen am nächsten Tag. Endlich durfte der Neo wieder an die frische Luft. Dummerweise habe ich ihn nicht an einem Bügel überwintern lassen, so wie es vernünftige Triathleten machen, sondern ihn zusammen gelegt in der Sporttasche untergebracht. Das Ergebnis waren Knitterfalten und rissige Stellen von oben bis unten. Die erste Flutung hat aber gezeigt, dass das gute Teil dicht hält. Nach mehreren Wochen ohne ernsthaftes Schwimmtraining waren die zwei Kilometer zwar trotzdem verdammt kalt und ziemlich hart, aber auch ganz schön genial. Toll, so ohne Beckenrand, mit ewig weiter Sicht und leichtem Wellengang. Für den kalten Rheinauhafen in Köln Anfang Juni und die Alster beim Hamburg Triathlon Mitte Juli bin ich also schon mal gewappnet. Jetzt muss ich nur noch an meiner Technik arbeiten.
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Ich hab Nacken

Das gilt auch für das bergab fahren mit dem Rennrad. Ich habe heute noch Nacken und Muskelkater in den Unterarmen, vom ewigen Bremsen am Freitag. Da wurden wir mit dem Bus nach Andratx gefahren, um mit 16 Camp-Teilnehmern den Küstenklassiker zu bezwingen. Unser Trainer und Profi-Triathlet Johann Ackermann meinte, den würde ich locker schaffen. Hätte ich geahnt, wie hoch Mallorcas Berge sind, hätte ich mich aber vielleicht doch nur für die normale 125-km-Tour entschieden. Ohne den Puig Major, der mit fast 1.500 Metern der höchste Berg der Insel ist. Satte 13 Kilometer lang habe ich mir bei einer Steigung von 6,5 Prozent im kleinsten Gang einen Wolf getreten. Mein lieber Scholli! Eine Stunde lang nur bergauf. Ich habe geschwitzt und geflucht, gelacht und genossen, gestrampelt und aufgegeben. Freud und Leid liegen so nah beieinander. Langsam und unsicher, ob ich die Spitze jemals erreichen würde, habe ich mich die Serpentinen hochgeschraubt. Oben angekommen waren zwar dann meine Batterien leer. Also die von meinem GPS. Meine eigenen habe ich mit Riegeln, Isodrinks, einer Portion Sonne und einem atemberaubenden Ausblick wieder aufgefüllt – und mit dem guten Zuspruch meiner Radgruppe und Guide Frederik, dass ich gar nicht so langsam war. Auch runter habe ich mehr Gas gegeben, als je zuvor. Mit 45 bis 55 km/h bin ich die Serpentinen wieder runtergedüst. Insgesamt fast 2.450 Höhenmeter und sechs Stunden später waren wir wieder am Hotel.
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Immerhin weiß ich jetzt, dass ich so viele Stunden Sport am Stück schaffe. Ein Hoffnungsschimmer für meine erste Mitteldistanz im September. Locker sieht zwar anders aus, aber das verrate ich Johann einfach nicht. Immerhin erstellt er mir ab jetzt meine Trainingspläne – und spätestens dann kann ja nichts mehr schief gehen.
Küstenklassiker Puig Major
Ob er mir auch sagen kann, wie ich diesen Tag auf meinem Bürostuhl überstehe? Vielleicht sollte ich dieses starre Gestell gegen meinen (eigenen) Sattel austauschen. Rad auf die Rolle und ab die Post. Ohne Serpentinen und ohne bremsen.