Noch 25,195 Tage

Anita Horn Mein Marathon

Diesmal hat mein Profil ganz schön gelitten. Mein Laufschuhprofil. Ich habe meine Füße gestern keine fünf Millimeter vom Boden wegbekommen.

Ich war weder bouldern, noch im Fitnessstudio, noch habe ich die Marathonstrecke mit dem Fahrrad abgeklappert. Irgendwas musste ich aber machen. Immerhin standen 15 Kilometer auf dem Trainingsplan. Also habe ich mich bei Wind und miesem Nieselregen in meine noch klammen Laufsachen vom Wäscheständer geschmissen (ich komme kaum noch nach mit dem Waschen), hab mein Handy in die Hand genommen (neue Lauf-App ausprobiert und mich beim direkt aufgezeigten Stand der Dinge in Grund und Boden geschämt und nein ich verrate hier nicht meine Durchschnittsgeschwindigkeit), mir Musik auf die Ohren gepackt und bin los.

Die Vorstellung, zwei Tage nach dem 32-Kilometer-Lauf überhaupt jemals wieder mehrere hundert Meter nur mit meinen Füßen zurückzulegen war eigentlich schon ziemlich unschön. Ich glaube, ich habe meine Motivation irgendwo am Niederzündorfer Hafen gelassen… Aber gut, jammern ist nicht. Also Haltung und go! Aber schon auf den ersten Meter, noch vor der ersten Kurve, die überhaupt aus meiner Straße raus führt, bewege ich mich vorwärts wie ein krummes Ei. Mein linkes Knie muckt auf. Komisch, dabei habe ich es überhaupt nicht gespürt die letzten zwei Tage. Was zum Teufel sollen jetzt also diese nervigen, blöden Schmerzen? Ohne Witz, ich komme so keine 500 Meter vorwärts. Also zügle ich direkt mal das Starttempo, bei dem mich eh schon jede müde Schnecke einholen würde, und lausche. Tock. Zisch. Tock. Zisch.

Menno. Bei jedem Schritt, genau genommen beim Strecken des Beins, macht es Tock. Beim Auftreten und Abknicken macht es Zisch. Hab ich mich am Sonntag etwa doch übernommen? Hab ich mir eine Verletzung eingefangen? Kann ich jetzt nicht mehr trainieren? Bekomme ich Probleme beim Marathon? Oh nein, was mache ich denn jetzt? Ok. Tock. Zisch. Ruhe bewahren. Langsam weiterlaufen. Erstmal warm werden. Links knicke ich total ein. Das muss ziemlich behämmert aussehen. Egal, weiter wie eine Bimmelbahn auf Reparaturfahrt. Die erste Brücke, der Weg zum Park. Langsam geht´s. Ich ziehe also das Tempo an und – Tock. Zisch. Mist man! Ich entscheide mich also trotz mittlerweile gestiegener Motivation für eine kurze Runde. Eine sehr kurze Runde. Bringt ja nichts. Wenn ich auf ein kaputtes Knie jetzt noch 15 Kilometer packe, tue ich mir sicher keinen Gefallen.

Ich schleiche voran und sehe die Läufer diesmal großteils von hinten. Egal, viele sind eh nicht unterwegs. Mag am Wetter liegen. Kann aber auch daran liegen, dass gerade wirklich die Hochphase der langen Probeläufe ist. Wenn letztes Wochenende alle ihren 30-Kilometer-Lauf absolviert haben, werden die meisten von ihnen jetzt wohl mit einem alkoholfreien Bier auf der Couch sitzen und nicht versuchen, ihre Knie zu kasteien. Das stört mich aber nicht, mittlerweile hat´s mich gepackt und ich will laufen. Mein Knie macht auch gerade etwas weniger Stress. Aber bei jedem Schritt, den ich Gas geben will, kommt es wieder. Tock. Zisch. Tock. Zisch. Ahhhh ich flippe gleich aus! Also gut, ich schlage den Rückweg ein. Vorbei an einem überfüllten Abfalleimer, der gerade ganz gut meinen Gefühlszustand widerspiegelt. Vorbei an Straßenschildern, die mir wie ein ganzer Zaun winken zu scheinen: Meisenweg?!

Ja, mag sein, ich hab eine Meise. Marathon-Training ist nicht immer ein Vergnügen. Ich bin ja gleich zu Hause. Als ich den Trimm-Fit-Pfad sehe, überlege ich mir, einfach noch ein bisschen Stabi und Kraft zu machen. Man muss halt auch spontan sein. Ich flitze noch kurz in den Supermarkt, kaufe mit den fünf diesmal nicht durchgeweichten Euro in meiner Laufhosentasche noch etwas zum Futtern für den Abend, stelle fast, dass ich theoretisch nicht einmal duschen müsste, schlendere die letzten 200 Meter im Spaziertempo heim und komme an Hausnummer 42 vorbei. Wie eine Trophäe schwebt die Zahl da über meinem Kopf.

42. Komma 195 dazu, und schon wäre ich da. Im Ziel. Hmmm, schöne Vorstellung. Mein Ziel ist jetzt aber erstmal Schuhe ausziehen, ein bisschen Terraband-Action und Nudellauflauf schnabulieren. Schuhe aus übrigens zu allererst, weil mein Pflaster an der rechten Ferse verrutscht ist. Mensch, mein Körper hat am Sonntag wohl doch ein bisschen mehr gelitten als ich selbst gemerkt habe. Naja, ein bisschen Schwund ist immer. Übrigens nun auch bei meinem Equipment. Entweder war ich zu energiegeladen vom Nicht-Auspowern oder das Material ist einfach durch. Mein Terraband ist gerissen. Flopp – und schon hatte ich zwei Teile auf dem Zimmerboden liegen. Gut, dass ich gerade Abduktorenübungen gemacht habe und nicht etwas in Richtung Gesicht. Dann halt keine Terrabandübungen. Ein paar Crunches und – „Essen ist fertig“ tönt es aus der Küche. Alles klar.

Heute ist ja auch noch ein Tag. Und ich habe auch schon große Pläne. Heute gehe ich zum Kitelandboarden. Mein Trainer: Emmanuel Norman, deutscher Vizemeister im Kitelandboarding Freestyle, um hier nur einen seiner Titel zu nennen.

Schön, dass ich Arbeit, Training und Fun miteinander verbinden kann. Jetzt muss nur noch das Wetter stabil bleiben, und dann werden wir sehen, ob das Board mich beherrscht oder ich das Board…