Ich bin bereit! Der 2.Oktober kann kommen. Allerdings habe ich nicht vor, in dem Tempo zu laufen, in dem ich gestern meinen spontanen Abendlauf hingelegt habe. Eigentlich will ich nur eine kleine, langsame 9-km-Runde hinlegen. Zusammen mit meinem Mitbewohner. Allerdings habe ich mich dann schon beim Aufwärmen für eine doch etwas schnellere 9-km-Runde entschieden und vor der Haustür dann doch noch für die 12-km-Strecke. Ich fühle mich gut, und man soll ja spontan sein und nach Tagesform laufen. Also Füße in die Hände und los. Was am Ende dabei rauskommt, habe ich so selbst nicht ansatzweise erwartet…
Ich habe mich selbst geschlagen! Bin gestern meine persönliche, absolute Rekord-Allerwelts-Bestzeit gelaufen! Die ersten Meter bin ich wie immer langsam gestartet. Mein Mitbewohner auch – aber der läuft mit seinen langen Beinen als fast-Zwei-Meter-Mann so langsam wie ich schon kaum hinterher komme. Nach der ersten Brücke (die ich übrigens seit den Hügelläufen vom Golfressort in Spanien problemlos hochkomme) machen meine Beine dann meist automatisch mehr Tempo. Da hinten in der Ecke ist vor allem immer schön Schatten. Wir laufen an einem kleinen Weiher vorbei, auf dem man Tretboot fahren kann und wo ein kleiner Wohnwagen als umgebaute Bar steht, direkt daneben ist eine große Wiese, auf der sich immer ein paar Fußballer und ein paar Sonnenanbeter versammeln. Witzigerweise bin ich auf niemanden dieser Freizeitnutznießer neidisch. Ich bin froh, auf den Beinen zu sein und meinem leicht durcheinander gebrachten Trainingsplan wieder ganz gut hinterher zu kommen.
Nach ein paar hundert Metern kommt uns eine Freundin von mir entgegen. Ein kurzer Plausch muss natürlich sein (diesmal ohne Umarmung zur Begrüßung), wenn man jemanden lange nicht gesehen hat. Danach geht´s weiter, wieder einen Tacken schneller, aber noch erträglich. Als mein Mitbewohner dann unfreiwillig eine kleine Fliege verköstigt (die sind im Moment nämlich zu Hauf unterwegs) und wir eh am eigentlichen Wendepunkt der 9-km-Runde ankommen, biegt Daniel ab. Ich entscheide mich, tatsächlich die große Runde zu machen. So wie am Vortag. Um wieder in den Trainingsrhythmus zu kommen. Das Wetter ist außerdem wieder perfekt und ich bin gut im Tritt. Also locker die zweite Brücke rauf und danach richtig Gas. Hier und da überhole ich andere Läufer, hier und da gucken sie komisch, weil ich sicherlich nicht mit dem optimalen Trainingspuls unterwegs bin. Zumindest vermute ich das. Die Batterie von meiner Uhr ist immer noch alle, ich muss unbedingt eine neue kaufen. Egal, man muss ja, um Trainingserfolge zu haben, auch an seine Grenzen und darüber hinaus. Superkompensation lautet das Zauberwort. Et voila. Nimm das, du Superkompensation!

Völlig fertig, aber happy
Nach einigen Sekunden des Seitenstechens, die mich zwingen, das Tempo kurzfristig etwas zu drosseln, geht es wieder leicht bergab. Das nehme ich zum Anlass, die Dynamik der Strecke aufzufangen und nochmal schneller zu werden. Mit Erfolg. Und ich kann das angezogene Tempo sogar recht problemlos halten. Ich bin mir zwar nicht sicher, warum nicht noch viel schneller geht – ist´s meine Lunge? Die Kondition? Oder wollen die Muskeln in den Beinen sämtliche weiteren Dienste verweigern? Denn ein Teil von mir will noch schneller, aber es geht rein körperlich einfach nicht. Zumindest nicht konstant und bis zurück vor die Haustür. Und ich habe ja gelernt, nicht zu übertreiben, um nicht nach ein paar Minuten gar nichts mehr auf die Kette zu kriegen und nach Hause kriechen zu müssen. Egal. Das Tempo ist ok so. Ich habe auch langsam dieses gute Gefühl, dass ich mindestens genauso schnell bin wie bei meiner letzten Bestzeit mit einem Durchschnitt von 5.13min pro Kilometer. Ja, das fühlte sich gut an. Ich laufe mittlerweile wie von alleine. Meine Arme sind diesmal auch nicht nur irgendein Anhängsel, sondern gleichberechtigte Laufpartner, die eine extrem wichtige Aufgabe erfüllen. Die Anita-vom Boden-hebel-Funktion. Sie ziehen mich bei jedem Auftreten wieder nach oben, unterstützen die Beine, treiben mich vorwärts. Der Rückweg ist schon eingeläutet. Zurück über die zweite von insgesamt drei Brücken. Problemlos rauf, noch einen Schuss schneller wieder runter. Um die Kurve, zwei Leute hinter mir lassen, die Atmung anpassen, die Arme noch ein bisschen mehr mitschwingen, lächeln nicht vergessen. Ich komme zum tiefergelegten Sportplatz, dann geht´s wieder hoch zum normalen Weg. Vorletzte Steigung. Zack um die Ecke, nochmal zwei Mädels überholt und dann Endspurt.

Dehnen. Atmen. Nachschwitzen. Wow.
Immer wenn sich meine Strecke dem Ende nähert, wird´s scheinbar etwas schwerer. Egal ob bei 9, 12 oder 23 Kilometern. Als würde der Körper wissen, wann er es hitner sich hat und wieder auf Sparflamme stellen kann. Aber nichts da. Diesmal ziehe ich das Tempo bis zum bitteren Ende durch. Zurück um die Wiese und den Weiher, letzte Brücke. Mist, da sind sechs lahme Spaziergänger unterwegs und versperren die Brücke. Kurzerhand rufe ich „Vorsichtig, bitte!“ unf zische an ihnen vorbei. Von denen lasse ich mir jetzt bestimmt nicht die Zeit versauen. Brücke runter, die letzte Hilfe mit aufgefangen, nur noch rund 500 Meter bis nach Hause. Meine Beine werden schwer. Ich überquere die letzte Straße und will am liebsten sofort stehen bleiben. Aber es geht nicht. Meine Beine laufen, bis zu der Straße, in der ich wohne. Letzte Kurve, nur noch 20 Meter bis zur Haustür. Ich klingel (habe meinem Mitbewohner den Schlüssel gegeben) und flitze die Treppen rauf, als gäbe es kein Morgen mehr. Ein Blick auf die Küchenuhr – YES!!!

Meine Beine wiegen gerade Tonnen!
Ich kann es selbst nicht glauben! Doch, jetzt kommt´s. Als ich nur zwei Sekunden stehen bleibe, wird mir nämlich spontan schwindelig und mein Magen dreht sich eine Runde rückwärts um sich selbst. Aufhören! Trinken! Gehen! Ich marschiere durch Wohnung, mein Mitbewohner guckt komisch, aber da bin ich schon wieder auf dem Balkon. Zurück ins Wohnzimmer, Wasserflasche ansetzen, meine Beine laufen immer noch wie von selbst. Weitergehen, trinken, gehen trinken. Langsam geht´s wieder. Der Magen wollte wohl nur sagen, dass er Futter braucht. Und der Schwindel ist weg. Ich hätte vielleicht auslaufen sollen. Aber dann hätte ich ohne Pulsuhr meine Zeit nicht mitbekommen. Man muss auch Opfer bringen. Und es hat sich gelohnt.
Ich bin stolz wie Oscar, grinse wie ein Honigkuchenpferd und will nur noch duschen, essen und schlafen. Mein lieber Scholli, das hätte ich wirklich nicht gedacht. Pace unter 5min, wie genial ist das denn?! Klar, das wird nicht mein Marathontempo. Aber es ist ein verdammt gutes Gefühl zu sehen, dass das Monate lange Training doch eine Menge gebracht hat. Ich esse mein Risotto vom Vortag (jetzt noch kochen, das würde ich nicht hinbekommen), hänge mich eine halbe Stunde vor die Glotze, gucke Basketball (EM, Deutschland gegen Italien, Deutschland siegt, Anita hat auch gesiegt), greife mir mein neues Buch über eine top-aktuelle Trainingsmethode und dann entscheide ich mich doch für´s Bett. Der schönste Schlaf ist der Nachsportschlaf. Mit nachwirkendem Runners-High. Ein Traum.