Wer hätte das gedacht? Ich!
Laufen ist die beste Therapie gegen Kopfschmerzen. Auch wenn mir die ersten zehn Minuten vorkommen wie ein schwergewichtiger Flowalzer in meinem Hirn. Ich versuche mir einfach vorzustellen, dass es eine innerliche Massage ist, Druckwellen pressen zart gegen meine Schläfen und schicken ihre Nachkömmlinge bis in meine Zehenspitzen durch meinen ganzen Körper. Hmmm, tut das gut. Wumm! Wumm! Wumm! Das Pochen ist lauter als der Bass meiner Musik, nur dass die Beats leider kein bisschen zueinander passen. Es ist, als würde sich mein Körper weigern wollen, zu laufen. Zumindest will er es mir extrem schwer machen. Aber warum nur?
Das Wetter ist grandios und alle Läufer Kölns haben wie eine Herde wildgewordener Ameisen ihre Häuser verlassen, um gemeinsam einsam für den Marathon zu trainieren. Woran ich das erkenne? Naja, die drei da vorne, die haben alle T-Shirts von irgendwelchen Laufwettbewerben an, teilweise mit Firmenlogo und eigenem Namen. Torben zum Beispiel gibt gerade ein paar Anweisungen und jetzt dreht das Dreiergrüppchen sich um und trabt rückwärts auf dem Parkweg entlang. Das macht ein Läufer, der einfach nur laufen will, um den Stress seines Arbeitstages abzubauen, wohl eher selten. Offensichtlich sind das wie ich Trainingsabsolventen. Laufkraftübungen. Sehr gut. Weiter so, Torben.
Oder da vorne der, der guckt alle paar Minuten auf seine Pulsuhr. Außerdem trägt er Funktionskleidung und gibt direkt mehr Gas, als ich ihn überhole. Scheint einer von der Sorte „Ich will der Schnellste sein“ zu sein. Tja, Pech gehabt, wie auch immer ich es schaffe, ich überhole ihn in meinem gewohnten Tempo. Und halte es auch. Oft passiert es ja auch, dass jemand ziemlich exakt die gleiche Geschwindigkeit läuft wie man selbst. Man läuft dann halb hinter ihm, halb daneben. Also entscheidet man sich gegen das Schattenläufer-Dasein (und außerdem scheint man auch hinter wem anders eine echte Irritation zu sein, die Frau vor mir hat sich neulich immer wieder halb umgedreht, als hätte sie Angst, überfallen zu werden…), setzt zu einem gekonnten Überholmanöver an, schert nach einigen Metern wieder rechts ein und lässt sich dann wieder mehrere Schritte zurück fallen – weil das Überholtempo einfach nicht dem üblichen Rhythmus entspricht und man total außer Atem ist. Mit dem Effekt, dass die Überholte nur zwei Minuten später an mir vorbei zieht und argwöhnisch grinst. Gut, dass ich die nächste Ecke abbiegen muss, dann hab ich den Weg wieder für mich alleine.

Pink geht immer
Da kommt mir auch schon ein vermutlich weiterer Marathon-Anwärter entgegen. Der scheint mir recht vernünftig. Läuft recht langsam, dafür aber sehr aufrecht und hält die Arme relativ tief. Seine Sonnenbrille lässt nicht erkennen, ob er seine Umgebung beobachtet oder total versunken ist in seinem Training. In dem Moment höre ich ein Handy klingeln. Erst passiert nichts, dann fängt der Typ plötzlich an in seiner Hintertasche zu wühlen, hebt hektisch ab und bricht das Training ab, lacht laut, fängt an zu erzählen und verbringt die restlichen Meter gemütlich schlendernd, um sich 50 Meter hinter mir auf einer Parkbank niederzulassen. Gut. Dann wohl doch kein Marathonläufer. Hätte ich auch am normalen, grauen, durchgeschwitzen T-Shirt und der schlabberigen Sportshorts erkennen können. Ich habe die hebelartige Armhaltung wohl missinterpretiert.
Was die Horde laufender Ameisen eigentlich über mich denken mag? Ich trage eine 3/4-Laufhose, dunkelblau mit pinken Streifen an der Wade. Dazu am liebsten mein pinkes Trainingsshirt, ärmellos. Darunter ein pinkes Bustier. Meine Brooks mit lila Schnürsenkeln und dazu habe ich Musik im Ohr. Weiße In-Ear-Kopfhörer. Alles in allem bin ich also nicht unbedingt zu übersehen. Ich mag pink.
Meine Klamotten sind übrigens wissenschaftlich aussortiert und neu probiert worden. Ich bin schon mit zig Hosen, Shirts und mehreren Paar Schuhen gelaufen. Aber dieses Outfit hat sich als das beste heraus gestellt. Es rutscht nichts, es drückt nichts, keine Blasen, keine Stelle, die ziept oder sonstigen Ärger veranstaltet. Am Anfang fand ich meine neuen Schuhe etwas ungewohnt, habe seit zwei Monaten welche mit Stütze. Pronationsschuhe. Weil ich bei den längeren Läufer immer leichte Probleme mit einem leichten Hallux Valgus hatte, also einem Spreiz-Senk-Fuß. Also ab zur Laufbandanalyse bei einem bekannten Laufschuhshop und neue Treter mitgenommen. Die ersten Läufe damit sind mir irre schwer gefallen und ich hatte danach leichte Knieschmerzen. Also bin ich auf die nicht-gestützten Schuhe zurück und damit konnte ich gar nicht mehr entspannt laufen. Beim nächsten Mal hab ich also wieder zu den Pronationsschuhen gegriffen und seitdem sind wir ein Herz und eine Seele. Auch die Socken spielen natürlich eine große Rolle. Beim Marathon soll schließlich nichts weh tun. Und nur die kleinste, störende Naht wird bei 42,195 Kilometern sicher zur Höllenqual. Deshalb werde ich mir in vier Wochen genau dieses Outfit am Vorabend zurecht legen, noch eine Jacke für vor dem Lauf einpacken und dann sollte dem Event nichts mehr im Wege stehen. Außer…
Mist, ich muss mal. Das kommt davon, wenn man vor dem Lauf 1,5 Liter Anti-Kopfschmerz-Wasser in sich hinein schüttet. Die Schmerzen sind immerhin weg – ganz vergessen, dass da vorhin noch was war – aber ich muss meinen Tritt unterbrechen. Gut, dass Köln doch mehr grüne Ecken hat als man vermuten mag. Wie wird das bloß beim Marathon? Dixis sind jetzt nicht gerade einladend. Außerdem muss man erst quer durch das Läuferfeld. Und man verliert Zeit. Außerdem – so wie meine Hose bei 24 Grad und nach nur zehn von 12 Kilometern klebt, bekomme ich sie am Ende des Marathons vermutlich gar nicht mehr ohne Fremdeinwirkung angezogen. Mist, da muss ich mir noch einen Trick überlegen. Ich werde am Wochenende mal ein bisschen üben. Beim 26 Kilometer-Lauf am Rhein entlang. Den 24er lasse ich weg, habe ich mir überlegt. Dann kann ich immer noch gucken, ob ich nach dem 30-Kilometer-Lauf am Wochenende drauf noch eine „kurze“ 24er-Einheit zum „Aufwärmen“ hinlege. Man man, so ewntwickelt sich das. Früher waren 12 Kilometer für mich eine unvorstellbare Distanz. Heute sind sie eine nette Strecke, um mal kurz ein bisschen zu trainieren. Ob mir das nach den 26 oder 30 und 42 Kilometern auch so gehen wird? Will man danach immer mehr und mehr und mehr? Laufen manche Verrückte deshalb gleich drei Marathons im Folgejahr, oder wollen plötzlich richtige Triathlons, Megathlons und Ironmen absolvieren? Ne, nicht mit mir. Das wird mein erster und einziger Marathon. Garantiert. Heute ist übrigens Ruhetag. Es sei denn, es packt mich nach der Arbeit doch noch. Dann mache ich vielleicht ganz locker zehn Kilometerchen. Mal sehen…